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Kristin Peukert8/18/23

Nr.3 - ESSKULTUR



Essen - eigentlich eine kleine, selbstverständliche, alltägliche Sache, aber auch ein großes Ding in einer bikulturellen Beziehung. Wie oft am Tag warm essen? Wie oft ist Fleisch dabei? Vegetarisch oder vegan? Wie am besten gewürzt? Frisch zubereitet, halal geschlachtet oder schnell von einem Snack-Restaurant geholt? Ist Schweinefleisch in der Wurst oder im Schinken? Alkoholfrei?


Politisch organisierte Speisung


Die Unterschiede zwischen (ost-)deutscher und marokkanischer Ernährung sind immens und auch ich habe meine Essgewohnheiten umgestellt seit ich in Marokko lebe. Ich bezeichne mich als „Kantinenkind“ – warum? ...weil ich von Anbeginn meines Lebens größtenteils mit Kantinenessen groß geworden bin. In der DDR von Montag bis Freitag, im Kindergarten wie auch in der Grundschule gab es ein Gericht mit Nachtisch für lau, doch mit fadem Geschmack. Wir wurden sogar kostenlos mit Trinkmilch versorgt. Am besten gewürzt war das cremige Ragout Hühnerfrikassee. Nach Bananen musste man wirklich jeden Samstag in der Kleinstadt anstehen.


Am Samstag hatten wir Halbtagsunterricht und mein Vater hat meine Schwester und mich mit einem Mittagsgericht versorgt, meist mit dicken, braunen Eierkuchen, da meine Mutter an diesem Tag in der Schule höhere Klassen unterrichtete. Normalerweise kochte meine Mutter in der Familie, meist nur am Sonntag und in den Ferien, denn auch sie genoss als Lehrerin die Betriebsküche. Mein Vater bereitete ausnahmsweise nur an Weihnachten einen köstlich gewürzten Braten mit dicker Soße oder Karpfen zu.


Am Gymnasium nahm ich anfangs auch die Kantine in Anspruch oder den schnellen Imbiss an der Ecke. Als Studentin führte ich diese Gewohnheit in Berlin in der Mensa fort, aß während der Arbeit oft wegen langer Fahrtwege in einem der unzähligen, exotischen Restaurants und Cafés.

Das typisch deutsche Frühstück bestand aus Brötchen mit Marmelade oder Nutella, Müsli oder einem gekochten Ei, das Abendbrot aus Misch- oder Vollkornbrotscheiben mit Wurst, Käse oder Quark und Salatgemüse, ab und zu Bratkartoffeln. Ziemlich bescheiden würde ich sagen.


Auf dem Weg zu Kochkünsten und Gesundheit


Ich habe nie wirklich gelernt, größere Mahlzeiten zu kochen außer Eierkuchen, Nudeln mit Tomatensoße, vielleicht mal eine selbstgemachte Pizza oder Senfeier – ein russisches Gericht mit Senfsoße. Mit meiner Mutter zusammen habe ich kaum gekocht, höchstens mal einen Kuchen gebacken. Sie übernahm in der Familie die dominante Rolle in ihrem Reich „die Küche“, damals mit Gasherd. Den habe ich in Marokko wieder schätzen gelernt. Mit dem Gasofen verhält es sich schwieriger, denn es gibt keine Stufenregelung oder Temperaturanzeige, bei offener Flamme kann der Kuchen schnell schwarz werden. Da brauchte ich etwas Übung, bevor ich den Ofen im Griff hatte.


Mir schlug eine völlig andere Esskultur in Nordafrika entgegen. In Schule und Job gibt es zwischen 12 Uhr und 14 Uhr eine Mittagspause und damit genug Zeit, um das selbstgemachte Essen der marokkanischen Mama daheim zu genießen.

Gerichte in den einfachen Restaurants reichen von Pizza, Sandwich, Schawarma bis französische Tacos und schmecken fast überall gleich. Es ist hier im Osten leider sehr eintönig bis auf ein paar traditionelle Öfen, die große Fleischstücke über Feuer zubereiten.


Anpassung


Ich begann jeden Tag ein Gericht zu kochen, ich trank wieder Kuhmilch, aß Joghurt und oft Fleisch. Das war in Berlin anders, ich litt an Laktoseintoleranz, aß ab und zu Putenfleisch, ein Steak oder Hackfleisch. Auf Schweinefleisch habe ich bereits seit ein paar Jahren vollkommen verzichtet. Ich weiß gar nicht mehr warum… Es passte auf jeden Fall zur muslimischen Esskultur. „Halal“ Schlachtung bedeutet übrigens, dass das Tier mit einem Messer und durch sauberen Schnitt getötet wird, damit das Blut vollständig mit Hilfe des noch pumpenden Herzen und durch die Halsschlagader aus dem Körper fließen kann.


Ein Hühnchen sehe ich in Marokko noch lebendig, bevor es mir frisch geschlachtet und noch warm samt Magen, Leber und Herz in einer Plastiktüte überreicht wird. Zwei Kilo kosten zwischen 4 und 5 Euro. Ich habe verstanden, wie essenziell Gewürze und Kräuter sind, um Fleisch richtig schmackhaft zu machen. Frische Petersilie, frischer Koriander, Kreuzkümmel, Majoran, Kurkuma, Paprikapulver, Knoblauch, Ras El Hanout (eine marokkanische Mischung aus 12 verschiedenen Gewürzen) runden jedes Gericht ab.


Liebe geht durch den Magen


Viele Rezepte und Handgriffe habe ich tatsächlich von meinem Mann gelernt, denn er hat wirklich Talent und kreative Ideen beim Kochen, ist ein scharfer Beobachter mit einem ausgeprägten Geschmackssinn, auch wenn er laut seiner Mutter in der Küche als Mann nichts zu suchen hat.

Ich habe ganz neue Geschmacksnoten kennengelernt: Fleisch mit gerösteten Mandeln, Rindfleisch mit süßen Backpflaumen, gesüßte Avocado-Milch, in Butter, Zimt und Honig geröstete Zwiebeln, Harira – eine reichhaltige, pikante Tomatensuppe mit Kichererbsen, Suppennudeln, Linsen und Fleisch, Fischsuppe mit Krabben und Tintenfisch. Frischer Fisch aus dem Mittelmeer ist täglich auf dem Markt erhältlich und auch nahrhafte Sardinen für unsere Katze.


In Berlin habe ich selten Fisch gegessen, manchmal Lachs aus der Tiefkühltruhe, der hier wiederum sehr teuer ist. Die einzigen deutschen Köstlichkeiten, die ich zubereite, sind Senfeier sowie Rotkohl und Klöße im Dezember. Diesem hippen, veganen Trend geht hier im Osten des Landes niemand nach. Ich finde kaum Produkte im Supermarkt (Marjane, Carrefour) dazu. Hier kommen grundlegende, pure Zutaten auf den Tisch, dazu oft Fleisch wie Lamm, Hühnchen, Pute, geräucherte Putenscheiben, Schafs- und Rindfleisch.

Den berühmten Cous-Cous-Teller gibt's jeden Freitag, aufwendig gedämpft für fast zwei Stunden. An diese Tradition kann ich mich leider nur schwer gewöhnen.


Fakt ist, dass mein Mann und ich wegen unserer stark auseinander gehenden, kulturellen Essgewohnheiten schon oft aneinander geraten sind. Wichtig ist dabei, eine individuelle Lösung für uns als Paar zu finden und über unsere Gewohnheiten aus dem Elternhaus hinwegzusehen, eigene Routinen zu integrieren.

Fakt ist auch, dass ich in Marokko erst richtig gelernt habe zu kochen, ich hatte auch mehr Zeit aufgrund kürzerer Arbeitszeiten.

Mir persönlich fällt es schwer neben meinem Beruf der Pflicht des täglichen Kochens nachzugehen. Es ist nicht leicht aufgrund meines Hintergrunds als „Kantinenkind“ und wegen der Tatsache die Rolle als sorgende Hausfrau nie wirklich erlernt zu haben, neue Essgewohnheiten zu pflegen und mich anzupassen. Es braucht Zeit, Übung und Planung. Ich kann mir vorstellen, dass ich als Mutter noch besser in diese Rolle hineinwachsen werde.


Wie erlebst du deine Rolle als Berufstätige, Hausfrau, Mutter?


Wie habt ihr euch an eure kulinarischen Gewohnheiten angenähert?


Wie wichtig ist es für deinen Mann, dass du ihn bekochst?

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